Was sagen Katzenvideos im Internet über die heutige Situation der Werbebranche aus? Wie viel Kreativität steckt in der Stadt Hamburg? Und welchen neuen Herausforderungen muss sich die Werbe- und Kreativbranche stellen? Dies und vieles mehr wird in der Titelgeschichte „Hamburg wirbt“ des neuen club! Magazins beleuchtet.

MLV_Werbeagentur

Hamburg ist Agenturhauptstadt und Pressehochburg und die Werbebranche ein wichtiger Wirtschaftsmotor. Rund 2000 Agenturen haben hier ihren Sitz und rund 13000 Beschäftigte arbeiten als „Kreative“. Als weiteres Highlight im Heft, haben sich vier Agenturen Gedanken gemacht und das Thema „Hamburg wirbt“ optisch umgesetzt – die fantasievollen Illustrationen finden sich ebenfalls im Magazin.

Im großen Interview spricht Musiker Johannes Strate von der Band „Revolverheld“ über emotionale Musiktexte, die digitale Generation, veränderte Prioritäten im Leben und das Leid von Außenseitern. Das komplette Interview gibt es etwas weiter unten online.

Weitere Themen es Hefts: In der Rubrik „Wissen“ geht es um Unternehmenskultur, die „Gute Tat“ kommt von Christian Schad und dem gemeinnützigen Verein „Hanseatic Help“, der Spenden für Flüchtlinge sammelt, und in der Sparte „Gourmet & Genuss“ bereitet Küchenchef Nils-Kim Porru zusammen mit Effilee-Chefredakteur Vijay Sapre eine Menü für das „Hospiz für Hamburgs Süden“ zu.

 

 

Lesen Sie hier Geschichten aus dem aktuellen club!-Magazin.

 

 

 

„Für Mobbing gibt es nie gute Gründe

 

club!: Herr Strate, wie findet man den richtigen Namen für eine Rockband? 

Johannes Strate: Na ja, wir haben da anfangs gleich zweimal ins Klo gegriffen: Bei der Gründung unserer Band 2002 haben wir uns „Manga“ genannt, aber an dem Wort hatte sich der Carlsen Verlag bereits die Rechte gesichert. Danach nannten wir uns im Herbst 2004 in „Tsunamikiller“ um. Und nur wenige Wochen später zerstörte der große Tsunami viele Küsten Asiens …

Johannes Strate, Bild: Ivo von Renner

Seitdem heißen Sie „Revolverheld“ – warum?

Dazu gibt es keine große Geschichte. Bandnamen sind reiner Zufall, die plant man nicht am Reißbrett. Es sind einfach Wörter, die einem in der Woche gerade durch den Kopf gehen. Fragen Sie doch mal die Red Hot Chilli Peppers! 

Sollte nicht schon der Name einer Band deutlich machen, für welche Musik sie steht?

Nein, der Name hat nichts mit Sieg oder Niederlage zu tun. Wichtig ist nur, welche Personen hinter dem Namen stehen und welche Songs sie spielen.

 Was hat Sie fünf zu einer Band zusammengeschweißt?

Unser Schlagzeuger Jakob Sinn und ich haben uns im Popkurs der Hamburger Hochschule für Musik und Theater kennengelernt. Die anderen kamen von außen dazu. Wir hatten zum einen alle einen ähnlichen Musikgeschmack, am wichtigsten aber war: Wir waren total motiviert. Wir wollten um jeden Preis Musik machen. Dafür sind wir sogar an den Bodensee gefahren, um dort für null Euro ein Konzert zu geben; jeder von uns hat noch 50 Euro fürs Benzin in den Topf gegeben.

 

Und heute, 14 Jahre später, sind die Konzerte Ihrer aktuellen Unplugged-Tour allesamt ausverkauft.

Vor wenigen Wochen in Köln haben wir vor 14 000 Leuten gespielt. Und das Finale unserer Tour, am 26. November in der Hamburger Barclaycard-Arena, ist auch schon fast ausverkauft. In der größten Arena Hamburgs zu spielen, ist für uns schon der Wahnsinn. Wir haben im Logo im Grindelviertel angefangen, später haben wir im Knust gespielt, im Docks und in der Großen Freiheit auf dem Kiez, dann irgendwann im Stadtpark und auf der Trabrennbahn. Und jetzt in der Arena.

Sie schreiben Ihre Songs selbst. Wie wichtig ist der Text, um so viele Menschen zu berühren?

Enorm wichtig. In unseren Songs transportiert der Text ein ganzes Lebensgefühl. Wir singen über einen bestimmten Moment, und nur wenn die Zuhörer das auch nachvollziehen und sich da reinversetzen können, dann nehmen sie den Song auch mit in ihr Leben. 

Wie finden Sie die richtigen Worte? 

Bei mir fängt ein Song oft mit einem einzigen Satz an. Das sind Sätze, die mir plötzlich durch den Kopf schießen, die ich notiere und sammle. Einige werden dann zum Kern eines neuen Songs, die meisten schmeiße ich irgendwann wieder weg.

Tragen Sie dafür immer ein Notizbuch mit sich herum?

Ja, das hier: mein Handy. Da notiere ich alle paar Tage mal eine Beobachtung, eine Idee, einen Satz. Das ist ein ganz schönes Chaos, aber darin finde ich später immer wieder einen Baustein für einen neuen Song. Ich schaue mal nach, was ich da so alles gesammelt habe … „Ich will mal einen Song über eine Panikattacke schreiben.“ Na, das ist ja positiv. Oder hier, der Satz „Beerdigung in meinem Herzen“. Auch nicht gerade fröhlich. Aber der oberste Satz da, der von sonstwann ist: „… und wir uns bis vorne an der Ecke meine große Jacke teilen“. Bingo, daraus ist ein Song geworden: „Ich lass für dich das Licht an.“

Darin besingen Sie die ganz alltägliche Liebe: „Ich schaue mir Bands an, die ich nicht mag. Ich gehe mit dir in die schlimmsten Schnulzen. Renn’ für dich zum Kiosk, ob Nacht oder Tag …“

Mir ist diese klassische Romantik oft zu kitschig, so mit Rosenblättern und Kerzen und dem ganzen Pipapo. Was ist denn wirklich romantisch? Das ist doch, wenn ich mit meiner Freundin zu Hause in Hamburg abends auf dem Sofa sitze, draußen regnet es mal wieder und sie sagt: „Ich hätte jetzt so gerne ein Ben & Jerry’s Eis. Wenn ich dann aufstehe und aus dem fünften Stock rausgehe zum Kiosk, trotz Dunkelheit und Regen – das ist doch Romantik.

Singen Sie immer über Gefühle oder Situationen, die Sie selbst erlebt haben?

Oft, ja. Manchmal sind es auch Stimmungen, die ich in meinem Umfeld beobachte. „Lass uns gehen“ ist so ein Beispiel. Darin singen wir über die Sehnsucht nach Entschleunigung, danach, aus der Stadt raus aufs Land zu ziehen. In den letzten Jahren haben viele meiner Freunde und Bekannte mit dem Gedanken gespielt oder ihn sogar umgesetzt.

Sie haben einmal gesagt, dass „Revolverheld“ die Geschichten Ihrer Generation erzählt. Was treibt diese Generation besonders um?

Wir sind die Generation, die sich ganz besonders mit der digitalen Revolution auseinandersetzen muss. Als wir Kinder waren, gab es für uns weder Handy noch Internet. Ich war 16 Jahre alt, als wir schließlich ein Modem im Haus hatten, mit 18 bekam ich mein erstes Handy. Wir sind keine „Digital Natives“: Mit diesen Geräten sind wir nicht aufgewachsen, wir mussten uns erst an den Umgang mit ihnen gewöhnen. Wir sind die Generation, die eine Balance finden muss. Das fällt vielen von uns schwer, viele sind sehr stark darin gefangen. Die schauen selbst nachts, wenn sie aufs Klo gehen müssen, noch mal eben schnell was nach. Andererseits gibt es bei uns auch starke Gegenbewegungen: Leute, die bewusst nur noch ein- oder zweimal am Tag ihre Mails checken, vielleicht sogar gar kein Smartphone mehr besitzen.

Wie oft greifen Sie zu Ihrem Smartphone?

Ich muss aufpassen, dass ich das nicht morgens als Erstes und abends als Letztes in die Hand nehme. Einerseits sind die Geräte sehr praktisch, gerade bei Tourneen packe ich meine Zeitschriftenabos oder Bücher drauf. Andererseits schweife ich auch schnell mal ab, weil alles auf einem Gerät ist. Dann lande ich nach dem Buchkapitel schnell noch einmal bei Facebook oder den News. Zu Hause passiert mir das seltener: Da verbringe ich die Nachmittage meist mit meinem dreijährigen Sohn und gehe nur ans Telefon, wenn es mir gerade passt oder sehr wichtig ist.

Die digitale Revolution hat nicht nur den Alltag vieler Leute, sondern auch die Musikbranche stark verändert. Im Zeitalter des Streamings gehen die CD-Verkäufe immer stärker zurück. Wie wirkt sich das auf Ihre Band aus?

Kaum, weil wir von Anfang an eine Live-Band gewesen sind. Unser erstes Album „Revolverheld“ haben wir erst 2005 rausgebracht, nach drei Jahren voller Live-Auftritte. Vom Verkauf der Alben waren wir also nie so abhängig, die sind bei uns eher Werbung für unsere Konzerte. Ich würde die Streams eher als Chance sehen, gerade für kleinere Bands.

Als Revolverheld 2002 gegründet wurde, gab es weder YouTube noch Spotify. Was hat sich seitdem in der Werbung verändert?

Quasi alles. Als wir angefangen haben, war es enorm wichtig, alle Printmedien abzuklappern. Damals konnte die Bravo noch jemanden zum Star machen. Aber die Auflagenzahlen der Magazine sind seitdem enorm zurückgegangen, mit der Bravo habe ich seit zehn Jahren nicht gesprochen. Dafür gibt es heute diese YouTube-Phänomene: Irgendjemand dreht ein geniales Video, das geht viral, und bald darauf sitzen die im ZDF-Morgenmagazin.

Legen Sie heute also mehr Wert auf Videos als zu Beginn?

Unsere Musikvideos selbst haben sich kaum verändert. Aber auch wir sind natürlich heute mehr auf den sozialen Kanälen unterwegs und stellen Fotos oder kleine Handyvideos von den Konzerten auf Facebook, Instagram und YouTube.

Mit Ihrer Freundin, der Schauspielerin Anna Angelina Wolfers, haben Sie seit Dezember 2012 einen gemeinsamen Sohn: Emil. Wie sieht seitdem Ihr Leben zwischen Bühne, Proberaum und Kita aus?

Im Moment bin ich wegen unserer Tour viel unterwegs. Aber gerade bei Konzerten in Norddeutschland komme ich danach direkt nach Hause, egal wie spät es ist. An den Tagen, an denen ich in Hamburg bin, erledige ich vormittags meist irgendeinen Alltagskram. Jetzt gerade habe ich zum Beispiel Emils Dreirad im Kofferraum, da ist der Vorderreifen platt. Also fahre ich gleich nach dem Interview damit zum Fahrradhändler und lasse den flicken. Dann hole ich Emil von der Kita ab.

Kinder verschieben die Prioritäten: Heute reden Sie über Dreiräder, in früheren Interviews haben Sie eher von Ihrer Leidenschaft fürs Golfen erzählt.

Dazu komme ich seit Emils Geburt leider immer seltener. Ab und zu schaffe ich es aber zum Glück noch. Wozu ich kaum noch komme, ist mit meiner Freundin ins Kino zu gehen. Den Acht-Uhr-Film schaffen wir noch nicht und zehn ist uns zu spät.

War Ihr eigener Vater ein gutes Vorbild für diese Rolle?

Total. Als Lehrer ist er immer mittags nach Hause gekommen und wir haben als Familie zusammen gegessen. Danach musste meine Mutter los, als Klavierlehrerin hat sie vor allem nachmittags gearbeitet. Mein Vater hat sich kurz hingelegt und ist dann den ganzen Nachmittag mit mir durch den Wald gestreift, wir haben Baumhäuser gebaut oder Holzautos auf seiner Werkbank. Das Niedliche ist: Jetzt baut er viel mit Emil, wenn er bei uns in Hamburg ist oder wir ihn besuchen. Er ist ein echter Bastelopa!

Sie sind im idyllischen Worpswede aufgewachsen. Hatten Sie nie die in „Lass uns gehen“ besungene Sehnsucht,  ins Grüne zu ziehen?

Wir haben einen sehr guten Kompromiss gefunden: Vor ein paar Wochen sind wir in eine Wohnung mit einem 200 Quadratmeter großen Garten mitten in Hamburg gezogen, zwischen Eimsbüttel und Eppendorf. Da steht jetzt auch eine Werkbank, wie bei meinem Vater. Außerdem habe ich den grünen Daumen meiner Mutter geerbt und will jetzt ein kleines Gemüsebeet anlegen. Das ist doch cool für Kinder, wenn die mal sehen, wo eigentlich die Radieschen herkommen.

Sie hatten beruflich in den letzten Jahren viel mit Kindern zu tun, als Coach und Jury-Mitglied in der Castingshow „The Voice Kids“. Was wollten Sie diesen Kids vermitteln?

Mir war es sehr wichtig, dass mit diesen Acht- bis 14-Jährigen achtsam umgegangen wird, das hatte mich von der Show überzeugt. Nachdem die Kinder ihre Demos eingeschickt hatten, sind erst einmal Psychologen in die Familien und Schulen gegangen und haben geschaut, ob die Kinder aus einem stabilen Umfeld kommen. Ihnen war wichtig: Werden die Kinder gut aufgefangen, wenn sie rausfliegen? Oder sind das vielleicht eh schon Außenseiter, die es danach noch schwerer hätten? Da wurden einige Kandidaten nicht genommen, obwohl sie gut singen konnten, weil das Umfeld zu wackelig war. Das fand ich sehr wichtig: Ich hatte selbst mal ein unschönes Jahr an der Schule.

Warum?

Für Mobbing gibt es doch nie gute Gründe! Das war in der achten Klasse, ich war eben einfach der Kleinste mit Brille, das hat schon gereicht. Auf einmal fanden mich alle doof. Jetzt kann ich darüber lachen, aber damals war es nicht witzig.

Hat Sie diese Erfahrung sehr geprägt?

Ja, seitdem habe ich mich immer sehr für Außenseiter eingesetzt. 

Sie engagieren sich für mehrere Hilfsorganisationen, etwa für „Sea Watch“ …

… das sind ein paar wirklich verrückte Jungs, großartig, was die machen: mit einem umgebauten Fischkutter von Hamburg aus ins Mittelmeer fahren, um bei der Rettung von Flüchtlingen zu helfen. Seit diesem Jahr gibt es noch ein zweites Boot, wir haben uns das hier in der Werft angeschaut. Eigentlich wollten wir sogar bei einer Aktion mitfahren. Aber die sind immer 14 Tage am Stück auf offener See, so viel Zeit hatte keiner aus der Band.

Zur gleichen Zeit haben Sie dem SOS-Kinderdorf in Hamburg-Dulsberg geholfen, einen Musikbereich aufzubauen. Wie kam es dazu?

Johannes Strate mit Inka Schmeling. Bild: von Renner.

Bei uns in Worpswede gab es auch ein SOS-Kinderdorf, einer meiner besten Kumpels ist dort aufgewachsen. Ich habe mich dort als Kind immer sehr wohl gefühlt, überall waren Kinder und Spielplätze, die hatten sogar eine Seilbahn im Dorf. Erst sehr spät habe ich kapiert, dass in dem Dorf etwas anders ist. Wenn meine Mutter mir nicht erklärt hätte, dass Marks Mama nicht seine leibliche Mama ist und seine Schwester nicht seine leibliche Schwester, hätte ich das nicht gemerkt. Das war alles immer so liebevoll. Dieses Prinzip finde ich bis heute toll: dass Kinder ohne Eltern eine zweite Chance bekommen, in einem Familienverbund aufzuwachsen. 

 

Das Interview führte Inka Schmeling